Interview mit Kees van Elst, Handel Heute, Oktober 2020
In der aktuellen Ausgabe der Handel Heute spricht Kees van Elst, Head of Consulting bei Mint Architecture über den Trend zur Digitalisierung und dem damit verbunden kontinuierlichen Wandeln von Wirtschaft und Gesellschaft durch den mehrwöchigen Corona-Lockdown.

Handel Heute, Oktober 2020
Trends sind immer eine Chance und eignen sich als Kompass, den Einzelhandel und kommerziell genutzte Immobilien neu auszurichten, sagt Kees van Elst, Partner bei Mint Architecture. Im Gespräch erklärt er, weshalb in einem nochmals verschärften Wettbewerbsumfeld die Marktpositionierung und die Markenbildung wichtiger denn je sind.
Die zurzeit unvermeidbare Einstiegsfrage – wie beurteilen Sie im Rückblick den Lockdown?
Die Pandemie hat der bereits seit längerem eingesetzten Digitalisierung einen neuen Schub verliehen, indem sie uns ermöglicht hat, trotz Stillstand des öffentlichen Lebens zu Hause zu arbeiten und uns mit den Produkten des täglichen Bedarfs zu versorgen. Der Boom im Online-Handel hat sich weiter verstärkt, was dem Einzelhandel noch deutlicher vor Augen geführt wurde. Trotzdem haben in dieser schwierigen Zeit gerade die Einzelhändler und Gastronomen eine Innovationsfreudigkeit bewiesen, die positiv für die Zukunft stimmt. So haben Retailgeschäfte praktisch über Nacht neue Lieferservices und Angebote entwickelt, die uns im stillgelegten Alltag kleine Freuden bescherten. Seien dies Blumen, die liebevoll verpackt direkt vor die Haustür geliefert wurden. Feine Menüs, die von den Gastronomen im Quartier über die Gasse gereicht wurden oder Bestellungen bei Markengeschäften und Boutiquen, die uns mit persönlicher Grusskarte und sorgfältig verpackt erreichten. Initiativen, welche die entstandenen Umsatzeinbrüche in diesem Jahr nicht ausgleichen können, die aber verdeutlichen, um was es im Handel mehr denn je geht: um die Kundenbindung und das Kundenerlebnis. Handel bedeutet in Zukunft Erlebnis.
Und was bedeutet dies nun genau?
Da sich Konsumenten ihrer Marken- und Produktwahl heute stärker bewusst sind, erfordern erfolgreiche Retailkonzepte eine klare Marktpositionierung und ein strategisches Branding. Dabei sind zwei Trends zu erkennen. Bei dem einen steht das hyperbequeme, automatisierte und berührungslose Erlebnis im Vordergrund, beim anderen die Hyper-Personalisierung, Eins-zu-Eins-Beratung und die Virtualität. Für das Kunden- und Markenerlebnis ist das physische Geschäft entscheidend. Mithilfe einer übergreifenden Planung der «Customer Experience» gilt es deshalb sicherzustellen, dass jeder Berührungspunkt – von der Architektur über die Innenräume, die Technologie, die Services, die Kuration bis hin zur Beratung –das Bedürfnis des Konsumenten anspricht und ihm ein Gesamterlebnis bietet.

Weshalb sollte eine kommerziell genutzte Immobilie bzw. ein Retailgeschäft positioniert werden?
Wir verstehen eine kommerziell genutzte Immobilie bzw. Fläche in erster Linie als ein Produkt oder sogar als eine Dienstleistung. Und wie bei jedem Produkt stellen wir die zentrale Frage: Für wen planen und bauen wir? Das heisst, wer sind die Endkunden, welche Bedürfnisse haben sie und wie können wir diese erfüllen? In allen unseren Projekten nehmen wir die Sicht des Nutzers einer Räumlichkeit ein und erarbeiten in interdisziplinär zusammengesetzten Teams die Positionierung, die Kernwerte, das Design und die Architektur der Räume und bilden so die Grundlagen für eine erfolgreiche Vermarktung. Es entstehen Orte, die zu Marken und Treffpunkten werden.
«Innenarchitektur und Architektur einen wichtigen Anteil an der Erreichung der kommerziellen Ziele unserer Retail- und Immobilienkunden.»
Ist das der Grund, weshalb Mint Architecture strategische Beratung anbietet?
Die strategische Auseinandersetzung beruht auf unserer Überzeugung, dass Innenarchitektur und Architektur einen wichtigen Anteil an der Erreichung der kommerziellen Ziele unserer Retail- und Immobilienkunden haben. Mit diesem Ansatz unterscheiden wir uns von traditionellen Ladenbauer und Shopfitter. Wir versuchen mit unseren Kunden bereits in der frühen Projektphase die entsprechende Retail- oder Immobilienmarke zu schärfen und dann im Raum und in der Architektur konkret umzusetzen. Dafür haben wir eigene Tools entwickelt, die diesen strategischen Prozess unterstützen. Sie verhelfen uns zu wichtigen Erkenntnissen und erlauben uns, Aussagen über die Märkte, die Nutzung sowie die Endkunden zu machen und diese in die Beratung, Konzeption und in den Designprozess der Architekturprojekte unserer Kunden einfliessen zu lassen.
«Das Einzelhandelsgeschäft wird zu einem «Brand Space», der die Markenwerte kommuniziert und die Endkunden in eine Markenwelt eintauchen lässt.»
Sind Sie dann eigentlich ein Trendwatcher?
Trends zu erkennen und richtig zu interpretieren, ist in der strategischen Beratung essenziell und spielt auch in unserer Arbeit eine wichtige Rolle. Unser Kernthema ist die Gestaltung der Customer Journey und die Beantwortung der Fragen, wie sich die Konsumenten in den Räumen, die wir entwickeln und entwerfen, heute und in Zukunft bewegen und verhalten, wie sie sich darin fühlen und was sie sich wünschen. Es zeigt sich, dass der physische Handel künftig weniger durch das Materielle und Transaktionale, als vielmehr durch das Erleben und Soziale definiert wird. Das Einzelhandelsgeschäft wird zu einem «Brand Space», der die Markenwerte kommuniziert und die Endkunden willkommen heisst. Das Wissen und die Auseinandersetzung mit diesen Trends hilft uns, die zukünftigen Anforderungen der Endnutzer in die Entwicklung unserer Designkonzepte einfliessen zu lassen. Wir verstehen uns dabei aber weniger als «Watcher», als vielmehr als Übersetzer der Trends in den dreidimensionalen Raum.

Haben Sie Beispiele von Projekten, die ihre Arbeitsweise im Retailmarkt verdeutlichen?
Mint Architecture hat in den vergangenen Jahren in unterschiedlichsten Revitalisierungsprojekten mitgearbeitet und neugestaltet. Ein aktuelles Projekt ist beispielsweise das bekannte Einkaufszentrum Neumarkt 1 und 2 in St. Gallen. Hier wurde eine neue Customer Journey entwickelt und in eine attraktive Mall umgesetzt, welche die Besucherinnen und Besucher für Einkäufe und Verpflegung heute direkt ins Zentrum führt. Bei der Sanierung des Einkaufszentraum A1 wiederum ging es darum, im Rahmen eines Gesamtprojektes das neu angedachte Fachmarktkonzept gestalterisch und architektonisch umzusetzen. Ein weiteres exemplarisches Projekt, dass die Bedeutung von Positionierung in der Architektur zeigt, ist sicher die künftige Präsenz von Jelmoli im The Circle. Die für das renommierte Schweizer Warenhaus neu entwickelte Fassade verfügt über eine einzigartige Optik, die im Interior Design der beiden Stores von Jelmoli weitergeführt wird und internationalen Gästen ein einzigartiges Einkaufserlebnis bietet. Schliesslich haben wir kürzlich an einem Architekturwettbewerb einer erfolgreichen Outletgruppe in Europa teilgenommen, das zum Ziel hat, das Einkaufserlebnis in einem der Center zu erhöhen und die Kundenbindung zu stärken. Der Entscheid ist noch ausstehend.
Eine letzte Frage: Was ist wichtiger Design oder Funktionalität?
Das lässt sich mit dem einen noch mit dem anderen beantworten. Vielmehr geht es darum, das perfekte Zusammenspiel von ästhetischem Design und spannender Funktionsvielfalt zu finden, um beim Kunden Emotionen auszulösen.
Quelle: Handel Heute, September/Oktober 2020